Wir fordern einen Planungsstopp!

Statement von Alexandra Werdes, Initiative Waldretter, bei der Diskussionsveranstaltung Pegelstand „Was bleibt von der grünen Insel im Fluss?“ am 22.2.2018 in der Honigfabrik Wilhelmsburg

„Wir Waldretter veranstalten diesen Pegelstand mit, weil wir nicht in einem sogenannten Bürgerbeteiligungs-verfahren mit der IBA darüber feilschen wollen, ob der ein oder andere Baum noch stehen bleiben darf.
Wir wollen den Wald ALS GANZES erhalten und das Thema zurück auf die Ebene der politischen Entscheidung bringen.
Wir fordern einen Planungsstopp und eine öffentliche Debatte darüber, was wir für Wilhelmsburg im Gesamten wollen.

Eine Sache, die wir hier sicher alle wollen, ist, dass es in Hamburg mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Ich möchte jetzt gar nicht in die Diskussion einsteigen, ob die Wohnungsbauoffensive des Senats wirklich die richtige Antwort auf die Wohnungsnot ist, woher diese Wohnungsnot kommt und was der sogenannte Drittel-Mix bedeutet.
Es sei auch einfach mal dahin gestellt, ob im Spreehafenviertel am Ende wirklich bezahlbarer Wohnraum geschaffen würde. Gehen wir mal davon aus, dass wir diese 1.000 zusätzlichen Wohnungen brauchen.

Dann stellt sich für mich immer noch die Frage, ob sie unbedingt an DIESEM Ort gebaut werden müssen. Ausgerechnet dort, wo sich seit mehr als 50 Jahren mitten in der Stadt weitgehend unberührte Natur entwickelt hat.

Ich will noch mal beschreiben, worum es hier geht:

Es handelt sich hier nicht um einzelne Bäume wie sie in einem Park stehen. Es sind Bäume, die als Wald eine Lebensgemeinschaft bilden. In dem Dreieckswald neben der Deichtreppe haben sich vor allem Pappeln, Erlen und Weiden angesiedelt. Es sind die Pionierarten für einen typischen Auwald, der entsteht, wenn er regelmäßig von der Flut überschwemmt wird. Das undurchdringliche Unterholz bietet vielen verschiedenen Tieren einen geschützten Lebensraum, ganz nah am Boden nistet zum Beispiel die Nachtigall. Der andere Wald, gegenüber vom Anleger, ist jünger, aber hier gibt es eine wunderschöne versteckte Lichtung, auf der man manchmal dem Fasan begegnen kann.

Diese Wälder am Ernst-August-Kanal abzuholzen ist rückwärtsgewandt und geht an allen großen Themen unserer Zeit vorbei.

Stichwort: Insektensterben

Was diesen Wald so wertvoll macht, ist das viele Totholz. Das sind umgeknickte Bäume und abgefallene Äste, die nicht weggeräumt werden, sondern langsam vor sich hinmodern. Dort haben Spechte und Fledermäuse ihre Höhlen, und es nisten Millionen von Insekten im toten Holz.
Das soll alles weg.
Aber die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt kommt groß in die Zeitung, weil sie sich ganz fortschrittlich ein Insektenhotel aufs Dach stellt. Und es ist nicht mal ausgemacht, dass sich auch nur ein einziger Ohrenkneifer dorthin verirrt.

Bin ich die einzige, die das absurd findet?

Stichwort: Stadtklima.

Nahezu jeden Tag kann man irgendwo lesen oder hören, wie wichtig Grün in der Stadt gerade angesichts des Klimawandels und der Luftverschmutzung ist. Und was passiert hier? Ausgerechnet in Wilhelmsburg mit dem Hafen und dem Schwerlastverkehr wird ein intakter Wald vernichtet. Und behauptet, man könne das Grün später auf die Dächer zurückholen, indem man da ein paar Moose und Gräser pflanzt.

Bin ich die einzige, die das absurd findet?

Noch ein Stichwort: Natürlich Hamburg.

Das ist die Überschrift für ein 22 Millionen schweres Investitionsprogramm, das Hamburg helfen soll, mehr Wildnis in die Stadt zu holen. Unter anderem sollen in Parks mehr heimische Wildstauden gepflanzt werden und es soll mehr Totholz liegen bleiben. Und jetzt raten Sie mal, welcher Park mit diesem vielen Geld zurück in die Wildnis geführt werden soll? Das ehemalige IGS-Gelände – der Inselpark!

Ich bin ganz sicher nicht die einzige, die DAS absurd findet.

Das Abholzen der Wälder am Ernst-August.Kanal ist – wie alle Naturvernichtungen auf Wilhelmsburg in den letzten acht Jahren – das Gegenteil von zukunftsweisender Stadtentwicklungspolitik!

Und trotzdem werden wir, die wir uns für die Natur stark machen, als fortschrittsfeindliche Randfiguren dargestellt, denen ein Wachtelkönig und ein Wasserfenchel wichtiger sind als die Zukunft der Stadt.
Es erfüllt mich mit Zorn, dass diese Pflanzen und Tiere, die niemand kennt, die glücklicherweise aber gesetzlich geschützt sind, mittlerweile zur einzig möglichen Notbremse geworden sind, wenn man in Hamburg Naturschutz durchsetzen will.

Es erfüllt mich mit Zorn. Denn es geht hier nicht um irgendwelche seltenen Arten für irgendwelche Spezialisten. Es geht hier um ganze Lebensräume und um den Wert, den die Natur für den Menschen hat! Für UNS ist dieser Wald wichtig!

Haben Sie schon mal die Nachtigall am Ernst-August-Kanal singen hören? Wie sich dieser winzige Vogel mit seinem Lied gegen den Lärm im Hafen behauptet?
Das sind kleine Wunder, die dieses Viertel für seine Bewohner bereit hält. Glücksmomente im Alltag, der in Wilhelmsburg oft ziemlich rau sein kann, wie wir alles wissen. Und dieses Glück kostet nichts.

Aber die Hamburger Stadtentwicklungspolitik scheint nur gut darin zu sein, Visionen für Investoren zu entwerfen. Wo, frage ich Sie, wo sind ihre Visionen für die Menschen, die in dieser Stadt leben?

Ich komme gleich zum Ende, aber ich bin noch eine Antwort auf die Frage schuldig, wie sich nun Naturschutz und Wohnungsbau unter einen Hut bringen lassen.
Ich habe noch keine fertige Antwort darauf.
Was ich sehe ist aber, dass die IBA ihre „neuen urbanen Nachbarschaften“ immer nur mitten ins Grüne baut. Während da, wo sich die Bürger tatsächlich schon seit langem mehr Urbanität wünschen, am Veringkanal zum Beispiel, da passiert seit Jahren nichts.
Oder die Brachflächen am Reiherstiegknie, die mindestens so viel Entwicklungspotenzial bieten würden, die fasst man lieber nicht an, weil sie von Privatfirmen verseucht zurückgelassen wurden.
Ich bin mir sicher, dass es noch mehr Möglichkeiten geben würde, 1000 Wohnungen in Hamburg unterzubringen, wenn man nur ernsthaft danach sucht.

Ich bin mir auch sicher, dass man zwischen Harburger Chaussee und Reiherstiegviertel eine städtebaulich ansprechende Verbindung schaffen kann und dabei die Naturflächen am Ernst-August-Kanal erhält.
Dass gar nicht erst der VERSUCH unternommen wird, DAS ist der Skandal!

Und wenn es für Stadtplaner von Berufs wegen schwierig ist, eine Fläche auf der Karte einfach unberührt zu lassen, wenn da unbedingt etwas geplant werden muss, dann zeigen Sie uns doch, wie Sie den Pionierwald zu einem echten Auwald entwickeln wollen.
Oder – das ist eine Idee von einigen älteren Wilhelmsburgern, die an uns Waldretter heran getragen wurde – machen Sie einen Gedenkwald für die Opfer der Flut von 62 daraus!

Wir Waldretter fordern Sie auf:
Zeigen Sie uns, wie das aussehen könnte, die Natur an dieser Stelle zu erhalten und in ein modernes Stadtbild zu integrieren!“