Klima‐, Umwelt‐ und Naturschutzpolitik befassen sich gerne mit dem Großen und Ganzen. Gut so.
Die konkrete Politik zeigt sich allerdings im Kleinen, an den zahllosen Einzelfällen, die in ihrer Gesamtheit die heutige Problemlage verursachen, also etwa Klimawandel, Schadstoffbelastungen und Artensterben.
Die Mitglieder unserer Gruppe wohnen in Wilhelmsburg und finden, das Engagement in dieser Sache soll ruhig konkret sein und darf gerne vor der eigenen Haustür beginnen
Geschichte der Wilhelmsburger Waldgebiete
Westlich der Georg-Wilhelm-Straße blieben die von der Sturmflut 1962 verwüsteten Kleingärten sich selbst überlassen. Dort entwickelte sich seither weitgehend ungestört ein auwaldähnlicher Bestand aus vornehmlich Weichhölzern.
Östlich wurde nach der Flut für eine Kleingarten-/Behelfsheimnutzung neu parzelliert. Die Gebäude wurden allerdings schon in den 1970er Jahren wieder beseitigt, um die Fläche für eine industrielle Nutzung aufzuschütten. Die Planung wurde allerdings nie umgesetzt – so konnte sich dort seitdem u.a. ein Birken-Pionierwald entwickeln. Auch wenn sie von Behörden als nicht besonders erhaltenswert eingestuft werden: Auch Birken sind ein wichtiger Lebensraum für Insekten.
Spontane innerstädtische Waldentwicklung über 60 bzw. ca. 45 Jahre sind auch aus Naturschutz-Sicht eine Sensation! Diese Waldflächen sind übrigens die einzigen auch formal so ausgewiesenen im Bezirk Mitte.
Gigantischer Grünflächenverlust auf Wilhelmsburg
Wilhelmsburg hat seit der Durchführung von IBA und igs 2013 im Stadtteil einen gigantischen Verlust an Grünflächen und Grünvolumen erlitten. Doch das ist der „Wachsenden Stadt“ nicht genug . Praktisch sämtliche Flächen des Stadtteils, die nicht industriell oder landwirtschaftlich genutzt werden und noch nicht bebaut sind, sollen nun für noch mehr Wohnungsbau entgrünt werden. Dabei ist der Stadtteil schon jetzt von mangelnder Umweltgerechtigkeit betroffen: Der Unterversorgung des Reiherstiegviertels mit Grünflächen steht ein Über“angebot“ an Lärm, Altlasten und Luftschadstoffen aus Industrie, Hafen und Verkehr gegenüber. Diese Situation soll nun nach dem Willen des Senats noch weiter auf die Spitze getrieben werden.
Klimaschutz braucht aktives Handeln
Der Weltklimarat IPCC hat ermittelt, welcher Unterschied zwischen 1,5° und 2°C Klimaerwärmung besteht, wie viele zig Millionen Menschen von einem halben Grad Mehrerwärmung in ihrem Überleben gefährdet sind. Und er hat klargemacht, dass die Klimaziele nicht durch Absichtserklärungen in Verbindung mit Augen‐zu und Weiter‐so zu erreichen sind. Sondern dass Wirtschafts‐ und Verhaltensweisen wirklich geändert werden müssen – und zwar gründlich und von uns allen.
Der (restliche) Hambacher Forst ist nicht zuletzt durch unermüdliches und vielseitiges bürgerschaftliches Engagement einstweilen vor der Abholzung gesichert. Er ist zu einem Symbol geworden – bzw. zu einem Prüfstein: Ob Klimaschutz wirksam praktiziert wird oder ein leeres Wort bleibt.
Nun sind unsere wenigen Hektar Wilhelmsburger Spontanwald sicher eine andere Hausnummer als der jahrtausendealte „Hambi“. Dennoch gibt es Parallelen.
Dort hieß es, der Braunkohlenabbau unter dem Wald sei alternativlos notwendig, sonst gingen die Lichter aus – das hat das Gericht aber als unbelegte Behauptung erkannt.
Hier heißt es, der Wohnungsbau genau auf den Waldflächen sei unabwendbar notwendig.
Allerdings ist nichts von Planungen auf den nicht oder wenig genutzten Gewerbeflächen an Reiherstieg und Veringkanal zu hören, wie sie seit langem im Stadtteil gefordert werden: Ein klarer Abwägungsfehler und Verstoß gegen das Naturschutzrecht. Eingriffe müssen in erster Linie vermieden werden, wenn sie aber zum Vorteil der Allgemeinheit unabwendbar sind, müssen sie an Orten mit der geringsten Störung des Naturhaushalts stattfinden. Da böte sich eine Erweiterung der Bebauung nach Westen an, statt nach Norden in den wohngebietsschützenden Wald hinein.
Die Waldretter sind also gar nicht grundsätzlich gegen Wohnungsbau?
Ja und nein. Das derzeitige Problem in Hamburg sind die rasant steigenden Mieten und der eklatante Mangel an kostengünstigem Wohnraum – bzw. das weitgehend ungezügelte Marktgeschehen. Wohnen ist ein Grundrecht. Grundrechte sollten aber nicht auf einem Markt gehandelt werden.
Der geplante Wohnungsbau soll weitere Wohnungen schaffen und dem Markt zuführen. Darin wird keine Problemlösung liegen. Ein kleiner Teil vorübergehend staatlich geförderter Mieten löst das Problem auch nicht, zumal wenn regelmäßig mehr Wohnungen aus der Förderung fallen als neu gefördert werden. Kostengünstigen Wohnraum kann die städtische SAGA durch Senken der Bestandsmieten schaffen. Die Stadt kann selbst subventionierten marktfreien Wohnungsbau betreiben – gleichzeitig müssten bundesweit die ländlichen Infrastrukturen gestärkt werden, um Migration von der Fläche in die Großstädte zu reduzieren. Aber das sind nur Gedanken – wir sind keine Wohnungspolitik‐Initiative.
Wir lehnen es allerdings ab, die vorgebliche Wohnungsbaunotwendigkeit als Totschlagargument zu nutzen, bei dem alle anderen Interessen und Schutzgüter keine Berücksichtigung mehr finden dürfen.
Und wir fordern ein Innehalten beim amokmäßigen Bauen im Stadtteil. Nicht das realsozialdemokratische Planerfüllen in Sachen Wohnungsbauzahlen sollte die Maxime sein, sondern ein qualitätsvolles Wohnen für alle. Dafür muss Rückschau gehalten werden. Wie funktionieren die neugebauten Quartiere, welche Bedürfnisse und Fehlbedarfe gibt es, welche beispielgebenden Lösungen gibt es? Auf den ersten Blick fallen fehlende Verkehrsplanungen (außer Autobahnen), defizitäre soziale Infrastruktur, fehlende Integration und die schon erwähnte mangelnde Umweltgerechtigkeit mit Unterversorgung an Grünflächen im Reiherstiegviertel auf. Solange es hier keine Lösungen gibt, macht das reflexhafte Zubauen der restlichen Freiflächen keinen Sinn.
Jeder lebende Baum bremst den Klimawandel
Jedes Stück Wald, jedes Fitzelchen Grünvolumen in der Stadt macht dagegen vielfachen Sinn, wirft sozusagen unablässig Rendite ab in Form von Abpufferung von Klimawandelfolgen durch kühlende Verdunstung, Bindung von Schadstoffen, Schutz vor (auch optischem!) Lärm, gibt Lebensraum für zahllose immer seltener werdende Organismen, trägt durch Naturerlebnisse, schönen Anblick und bessere Luft zu menschlicher Gesundheit bei – ist also notwendig für ein gutes Leben in der Stadt.
Und wachsendes Grün entzieht der Atmosphäre das Klimagas CO2: Es wird in Form von Biomasse angelegt. Damit wird der Klimawandel unmittelbar gebremst. Einen Wald abzuholzen hat denselben Effekt wie Kohle‐Verbrennen: Früher oder später ist der CO2‐Speicher Holz organisch abgebaut oder direkt verbrannt: Das CO2 ist wieder in der Luft und „macht Treibhaus“.